Ist Agilität ein Buzzword oder doch eine wichtige Maßnahme, um als Organisation langfristig am Markt bestehen zu bleiben?
Was bringt es für ein Unternehmen, sich von klassischen Hierarchiestufen zu lösen
und auf mehr Flexibilität und Eigenverantwortung der Mitarbeiter:Innen zu bauen? Bedeutet die Flexibilität, dass jetzt alle Regeln über Bord geworfen werden und man im reinen Chaos versinkt? Eines vorweg: Agilität bedeutet Flexibilität in festgelegten Strukturen. Das bedeutet gleichermaßen auch, dass die Mitarbeiter:innen sich mehr selbst organisieren, ihnen mehr Vertrauen entgegengebracht wird und sie für ihre übernommenen Aufgaben auch die Verantwortung tragen.
Folgen von mehr Agilität im Unternehmen
Team vor Individuum
Die Zeit der Einzelkämpfer:innen neigt sich langsam dem Ende zu. Unternehmen, die agile Werte und Methoden einführen, setzen auf eine starke Teamausrichtung mit gemeinsamen Zielen, welche über den Zielen der Einzelnen stehen. Die Teammitglieder sind sich der gemeinsamen Aufgaben bewusst und arbeiten Hand in Hand.
Veränderte Führungsrolle
Die klassische Führungskraft, die von oben herab Aufgaben delegiert und auf alle Fragen eine Antwort hat, hat in der agilen Welt ausgedient. Die agile Führungskraft folgt dem “servant leadership” Ansatz, d.h. sie unterstützt die Mitarbeiter:innen, Ziele zu erreichen, indem sie kurze Entscheidungswege ermöglicht. Die agile Führungskraft sollte sich daher auch tagtäglich fragen, welchen Nutzen bringe ich für meine Mitarbeiter:innen?
Mehr Transparenz auf allen Ebenen
Während es in klassischen Hierarchien fixe Wissensträger gibt, die ihre Kenntnisse nur sehr ungern mit den Kolleg:innen und Mitarbeitenden teilen, hat in der agilen Welt Transparenz auf allen Ebenen einen großen Stellenwert. In Kombination mit dem agilen Prinzip des kontinuierlichen Lernens, dient der Austausch der Kenntniserweiterung. Lasten können auf mehrere Schultern verteilt werden. Personalausfälle haben weniger einschneidende Folgen, da die Aufgaben auch von anderen Mitarbeiter:innen übernommen werden können. Transparenz stärkt zudem auch das Vertrauen in die Führungsebene des Unternehmens, da Entscheidungen klar kommuniziert werden und die Mitarbeitenden bis zu einem gewissen Grad auch über Entscheidungen mitbestimmen dürfen (z.B. nach dem Konsentprinzip).
Selbstorganisation der Teams
Vermutlich die größte Herausforderung, welcher Unternehmen gegenüberstehen, wenn sie agiler werden wollen, ist die Selbstorganisation der Teams. Hier müssen vor allem zwei Aspekte beachtet werden. Zum einen, muss sich die Führungskraft bewusst zurücknehmen und den Mitarbeiter:innen Raum geben, Verantwortung für die eigenen Entscheidungen zu übernehmen. Dabei sollte eine konstruktive Fehlerkultur herrschen, in der Fehler durchaus gemacht werden dürfen, wenn jede/r daraus lernt. Zum anderen bedarf es der mentalen Unterstützung des Teams und jedes einzelnen Teammitglieds, die neu gewonnene Eigenverantwortung auch anzunehmen. Möglicherweise wird es Mitarbeitende geben, die die Verantwortung für Entscheidungen nicht übernehmen wollen, sondern lieber im Stillen mitlaufen möchten. Diese Personen sollten durch wertschätzende Kommunikation und bei Bedarf auch durch systemisch-potentialorientiertes Coaching an die neue Arbeitsweise herangeführt werden.
Welche agile Methode ist die richtige?
Viele Faktoren spielen eine Rolle für diesen Aspekt. Nachdem die Entscheidung auf eine Methode (z.B. OKR) gefallen ist, ist es wichtig, sich Zeit zum Ausprobieren zu nehmen. Diese Zeit soll auch als solche klar deklariert sein. Dies kann z.B. dadurch geschehen, dass die Methode zunächst in einer Abteilung oder auf Managementebene Anwendung findet und nach Ablauf der Testphase entschieden wird, ob und wenn ja, in welchem Ausmaß diese auf andere Abteilungen ausgerollt wird. Darüber hinaus hat sich als erwiesen gezeigt, dass die Einführung einer neuen Methode ohne ausreichendes Grundlagenwissen meist nach hinten losgeht. Mal eben einen Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin auswählen, welche/r sich zu einer Methode etwas belesen soll, um deren Einführung dann zu begleiten, bringt in der Regel nicht den gewünschten Erfolg. Wichtig ist hier eine professionelle Begleitung (z.B. durch einen Agile Coach) oder zumindest eine Weiterbildung in dem Thema für die entsprechende Person.
Wozu dient nun also Agilität im Unternehmen?
Gewappnet für zunehmende Komplexität
Organisationen, die die Transformation hin zu mehr Agilität bestreiten und versuchen, die agilen Werte auch zu leben anstatt nur die Worthülsen herunterzubeten, sind besser vorbereitet auf die zunehmende Komplexität, welche durch eine andauernde und weiter fortschreitende Digitalisierung angetrieben wird.
Flexibler auf Marktanforderungen reagieren können
In der schnelllebigen Zeit, in der wir uns heute befinden, erwarten die Kunden in vielen Bereichen eine zunehmende Geschwindigkeit, welche eine gute Organisation benötigt. Im agilen Manifest wurde 2001 bereits festgeschrieben, dass der Kunde möglichst frühzeitig eingebunden werden soll. Kürzere Produktzyklen, am Ende derer den Kunden bereits erste Teilergebnisse präsentiert werden, deren Feedback dann eingeholt und in die Weiterentwicklung einfließt, sind das Resultat. So schaffen es Unternehmen auch, nicht von Start-Ups mit neuen, innovativen Produkten überholt zu werden.
Attraktivität als Arbeitgeber erhöhen
Unternehmen, die agil handeln und denken, haben bessere Chancen, Arbeitskräfte zu halten und neue Talente für sich zu gewinnen. Denn insbesondere die Konsequenzen der Corona-Krise haben gezeigt, dass Flexibilität nicht mehr nur von den Kunden, sondern auch verstärkt von den Mitarbeiter:innen gefordert wird. Benefits, wie der tägliche Obstkorb im Büro, ziehen Bewerber:innen heutzutage nicht mehr an. Wichtiger ist es als Unternehmen, nicht nur auf die eigenen Ziele, sondern auch auf eine Vereinbarkeit mit den Zielen der Menschen, die für bzw. mit einem arbeiten zu achten.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass eine Transformation von klassischen Organisationsstrukturen hin zu einer agilen Arbeitskultur nicht von heute auf morgen geschieht und verschiedene Faktoren berücksichtigt werden müssen, um die Transformation zu einem Erfolg für alle zu machen. Neben Transparenz und Selbstorganisation ist auch eine positive Fehlerkultur notwendig. Agilität bedeutet eben auch, dass es gewisse Vorgaben gibt, innerhalb derer sich das Team, die Abteilung, die Organisation und auch der Mensch relativ frei bewegen können. Stellen Sie sich Agilität wie die Leitplanken auf der Autobahn vor. Welche Spur Sie wählen, welchen Rastplatz Sie zwischendurch ansteuern, um die absolvierte Strecke Revue passieren zu lassen und zu schauen, wie Sie die weitere Reise angenehmer für alle gestalten können, können Sie selbst wählen.